Gedanken zum Testostart 3.0

Noch ein Tag bis zum Testostart. Die Anspannung wächst: Nervosität, Angst, Ungewissheit und ein bisschen Vorfreude.

Die Bedenken aus Gedanken zum Testostart 2.0 von vor knapp zwei Monaten sind geblieben. Ein Stück weit habe ich gehofft, dass sie sich so langsam auflösen würden.

Vorstellungskraft

Testo sprengt meine Vorstellungskraft. Es geht mir nicht in den Kopf, dass die Hormonbehandlung bei mir auch so anschlägt, wie bei allen anderen Trans*Männern. Ich finde es einfach unfassbar, wie viel sich durch Testo verändert. Ich versuche andauernd mir zu vergegenwärtigen, wie irgendwelche Haare wachsen oder die Körperformen langsam weniger rund werden – aber es dringt nicht zu mir durch, dass das wirklich passieren wird. Und eigentlich weiß ich ja, dass viele der aktuellen Körperlichkeiten sich verbessern werden. Ich stecke halt so tief in meinem Unzufriedensein drin, dass ich gar nicht begreife, dass sich dieser ganze Leidensdruck deutlich verkleinern wird. Pathetisch gesprochen: Ich würde gerne in die Zukunft gucken – wer kennt das nicht – um mich selbst ein bisschen zu beruhigen.

(Keine) Vorfreude

In Gedanken zum Testostart 1.0 habe ich mich schon darüber ausgelassen, dass mich die oft beklagte Ungeduld für die nächsten Schritte in der Trans*Community bisher ziemlich kalt gelassen hat. Was mich jetzt einholt, ist der Diskurs rund um „mit Testo/OP wird alles besser“. Gepaart mit mangelnder Vorstellungskraft habe ich mich selbst so sehr damit geimpft, keine Verbesserungen zu erwarten, um ja nicht enttäuscht zu werden. Ich habe es mir die letzten Monate auch ein bisschen gemütlich gemacht auf meiner Trans*Insel, um erträglich durch den Alltag steuern zu können. Ich habe mich ans Unwohlfühlen gewöhnt, sodass ich es ein Stück weit als normal empfinde – wie verrückt! Nur ist bei allem Gemütlichmachen die Vorfreude auf der Strecke geblieben. Ein Teil dieses Pessimismus ist sicherlich depressionsbedingt, ein anderer Teil hängt aber damit zusammen, dass ich vor jeder bisherigen Veränderung Angst hatte und verunsichert war. Erleichternd ist zumindest, dass jede bisherige Veränderung im Nachhinein goldrichtig war: Der erste Binder, Outings, neuer Name und Pronomen, … alles richtig gemacht! Jeder Schritt rund um Trans* hat Überwindung gekostet und hätte im Nachhinein schon Jahre früher passieren können. Das versuche ich mir vor Augen zu halten, damit ich mich eines Besseren belehren lasse und  Veränderung zulasse.

Angst

Natürlich habe ich Angst. Kurzfristig erstmal vor Stimmungsschwankungen und nervigen Nebenwirkungen wie Akne. Mittelfristig graut es mir vorm Sommer: Alle Temperaturen jenseits von 20°C sind mit Binder jetzt schon schwer auszuhalten, einerseits schwitzen wie blöd und andererseits schlechtes Passing in kurzen Klamotten. Langfristig macht mir die soziale Komponente Sorge, als überprivilegierter Mann durch die Welt zu wandeln und den mir bekannten weiblichen safe space zu verlassen. Und ganz grundsätzlich beunruhigt mich, wie schnell sich alles ändern wird. Ob mein Kopf da hinterher kommt? Und falls Testo doch ganz langsam anschlägt, falle ich dann doch noch der Ungeduld zum Opfer? Ich habe so ein bisschen das Gefühl, es gar nicht richtig machen zu können. Ich tausche mit Trans* das Gesamtpaket Frau gegen das Gesamtpaket Mann, ohne alle Veränderungen selbst in der Hand zu haben.

Hoffnung

Wenn’s nicht doch ein Fünkchen Hoffnung in meinem aktuell schwarzgemalten Horizont gäbe, würde ich mir das ganze Programm nicht geben. Alles, was ich bisher verändert habe, lässt mich authentischer, aufrichtiger und unverstellter durchs Leben gehen. Ich vertraue darauf, dass es besser ist, zu verändern statt zu erstarren. Alternativ würde ich mich noch ein paar Jahre mit der Ungewissheit rumschlagen, ob’s wohl das Richtige ist, und in der Zwischenzeit rauscht mein Leben an mir vorbei. Und Butter bei die Fische, was die Vorfreude angeht: Ich habe natürlich total Lust auf Stimmbruch, Körperfettverteilung, Muckis, kantigeres Gesicht etc. p.p. ich kann’s mir halt nicht vorstellen.

 

 

11 Kommentare zu „Gedanken zum Testostart 3.0“

  1. Verwunderlich wäre es, gäbe es bei Dir KEINE Anspannung mit all ihren Begleiterscheinungen. Und das sind eben leider nicht nur Vorfreuden, sondern der eine oder andere mulmige Gedanke…
    Ich persönlich bin ganz froh, dass die Latte ziemlich hoch hängt, um dem Club der Testoeinnehmer beitreten zu dürfen. Nach meiner Meinung hast Du genau diese Latte nach gut überlegtem Anlauf, inkl. genau zurechtgelegten Schritten souverän und geradezu locker übersprungen. Also, los gehts!
    GuK V

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    1. Schliesse mich V an,
      Das Glück gehört den Mutigen, Zweifel sind erlaubt, hast es lang „vorbereitet“, beame dir
      Vertrauen in das Leben hinzu!
      Und Geduld und Selbstbeobachtung im nicht übertriebenen Maß, so dass ein irgendwie normaler Alltag sein kann! Auch in diesen Tagen und Wochen …..
      GuK M

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  2. Nur Mut, Julius. Das kommt alles Schritt für Schritt, wie du es jetzt auch schon tust. Bei mir passieren Veränderungen so zäh, dass ich sie meist erst durch Rückmeldung anderer bemerke. Mal abgesehen von einem Sprung Anfang des Jahres. Die Freude war bei mir vorher auch eher Angespanntheit. Dann Euphorie und dann wieder nix und dann doch wieder. Ich drück dir die Daumen, dass es dir richtig gut damit geht! Cheers!

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      1. Und Stimmungsschwankungen hab ich eigentlich nur erlebt bis jetzt, wenn das T-Niveau nachlaesst. 😉 Und das ist auch nur einmal so gewesen. Startest du auch mit ner halben Dosis Nebido?

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  3. Hi Julius, bin an diesem Freitag den 13. in Gedanken sehr bei Dir – toitoitoi! Ich freue mich mit Dir, dass es losgeht und wuensche Dir, dass Du die unweigerlichen Stimmungsschwankungen gut verdaust!

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